Als ich im Dezember 2019 meinen Dienst in der JVA antrat, fiel mir in einem meiner ersten Gottesdienste ein junger Mann auf, der mir irgendwie bekannt vorkam. Wir kamen ins Gespräch, und tatsächlich war mir Herr B. bereits im Rahmen meines Bewerbungsverfahrens  in der JVA vor über einem Jahr begegnet. Herr B. ein sogenannter Drehtürgefangener, ein Betrüger, der es einfach nicht lassen kann. Zunächst gab es Geldstrafen, dann kam er in den offenen Vollzug, und jetzt sitzt er im geschlossenen Vollzug seine Strafe ab. Mit seinen 30 Jahren saß er schon vier Mal in Haft. Immer wieder kam er nach der Haft auf die schiefe Bahn, das Umfeld, keine Arbeit , die falschen Kontakte führten immer wieder zu neuen Straftaten und zu neuen Haftstrafen. Rein, raus und wieder rein. Viele Inhaftierte machen wie Herr B. nach der Strafe mit demselben Kram weiter wie vorher. 60% bis 70% werden wieder rückfällig! Woran liegt das? Ein Grund kann sein, dass wir es im modernen Strafvollzug immer noch mit einem System zu tun haben, das Menschen kleinmacht und unterdrückt und von ökonomischen Interessen und Kontrolle geprägt ist.

In der JVA Düsseldorf sind heute bis zu 850 männliche Gefangene aus 70 Nationen inhaftiert. Das zeigt schon, dass sich die Haftpopulation in den letzten Jahren deutlich verändert hat. Zum einen ist sie internationaler und zunehmend multireligiös geworden. Zum anderen ist der Anteil an Menschen mit einer Suchtproblematik deutlich gestiegen. Es geht dabei nicht um Alkohol, sondern um Drogen, die unter das Betäubungsmittelgesetz fallen und um synthetische Drogen. Außerdem kommen zunehmend arme, alte und psychische kranke Menschen in Haft.

Die Strafe besteht für diese Menschen im Entzug der Freiheit, und damit verbunden verlieren sie die Bestimmung über ihre Zeit, den Raum, die Kommunikation, die Arbeit, und auch über ihre Gesundheit. Das heißt, mit der Inhaftierung verliert der Gefangene jegliche Selbstbestimmung. Handys sind im gesamten Gebäude nicht erlaubt. In Düsseldorf haben die Gefangenen die Möglichkeit im Monat zwei Stunden auf dem Gang zu telefonieren. Keine separaten Zellen, wer vorbeigeht hört mit. Alle zwei Wochen besteht die Möglichkeit zu einem 45-minütigem Besuch. Der Alltag ist von Kontrolle bestimmt. Kontrolliert werden Körper, Privatsphäre, Kommunikation und Verhalten. Verlangt werden Rituale der Unterwerfung; der Gefangene hat sich anzupassen an Regeln, ob sie sinnvoll sind oder nicht. Gefangene haben keinen Handlungsspielraum und erleben dieses Ausgeliefertsein als Ohnmacht. Wenn beispielsweise bei einer Zellenkontrolle die privaten Bilder abgerissen werden, erleben die Inhaftierten dies als sinnlose Provokation. Solche Situationen werden als beschämend empfunden. Hinzu kommen die psychische und physische Gewalt, die zum Alltag in der Haft gehören. Diese Bedingungen des Vollzugs führen dazu, dass sich die Gefangenen am System und den Begleiterscheinungen abarbeiten, abstumpfen und sich nicht hinreichend mit der eigenen Biographie auseinandersetzen. Die Verarbeitung von Schuld und die Übernahme von Verantwortung bleiben aus.1

Aber auch den Familienangehörigen trifft die Inhaftierung hart. Sie wirkt sich auf das ganze Familiensystem aus. Emotional stehen die Familien in der Regel allein. Anders als bei einem Todesfall oder bei einer Krankheit gibt es bei einer Inhaftierung keine Rituale der Anteilnahme oder der Unterstützung. Hinzu kommen Scham und Angst einer Stigmatisierung, gerade auch der Kinder. Dies führt dazu, die Inhaftierung zu vertuschen und sich zu isolieren. Innerfamiliär muss sich die Familie neu organisieren. Kinder müssen eventuell fremd untergebracht werden. Auch die finanziellen Folgen einer Inhaftierung sind zu beachten: Hohe Anwaltskosten, die Erwartungen des Inhaftierten auf Unterstützung für den Einkauf. Bei Besuchen, aber auch bei Brief- und Telefonkontakten, unterliegen auch die Angehörigen strengen Kontrollen. Leibesvisitation, Berührungsverbot, Trennscheibenbesuch erleben die Angehörigen ähnlich beschämend wie die Inhaftierten selbst.2

Resümee

In Deutschland ist das Vollzugsziel in § 2 Satz 1 des Strafvollzugsgesetzes (StVollzG) festgelegt: „Im Vollzug der Freiheitsstrafe soll der Gefangene fähig werden, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen“. Diese Absicht des Strafvollzugs steht im Widerspruch zu seinen Ergebnissen. Denn viele Straftäter sind Wiederholungstäter und kehren häufig mehrfach zurück ins Gefängnis oder machen nach der Entlassung weiter so wie vorher.

Die Bedingungen in der Haft, das hohe Maß an Sicherheitsvorschriften, die Einschränkungen im geschlossenen Vollzug verhindern häufig eine tatsächliche Resozialisierung der Straftäter. Der negativ erlebte Alltag, die Erfahrung von Gewalt und Ohnmacht, stehen für die Inhaftierten im Vordergrund und verhindern eine Auseinandersetzung mit der eigenen Biographie. Die hohen Mauern, Lochgitter, Überwachungskameras führen im Gefängnis zu einer Atmosphäre der Enge und des Misstrauens. Die Folge ist eine Verarmung an Sinneseindrücken und ein Verlust an Selbstbestimmung. Die Zunahme an kranken, alten, traumatisierten und suchtkranken Menschen, die mit der zunehmenden Internationalität verbundenen Sprachbarrieren führen zu einer Überforderung auf allen Seiten. Nicht zuletzt gehen aufgrund der hohen Sicherheitsstandards Spielräume und sinnvolle Resozialisierungsmaßnahmen wie Freizeiten mit Gefangenen verloren. Darüber hinaus verhindern sie oft die Möglichkeit von Ausführungen und Ausgängen, die Verlegung in den offenen Vollzug und die Anwendung von vollzugsöffnenden Maßnahmen.3

Was könnte also getan werden, um dieses „weiter so“, dass wir bei vielen Inhaftierten erleben, zu verhindern? Klar ist, dass es immer Menschen geben wird, die aufgrund ihrer Straftaten mit dem Entzug der Freiheit bestraft werden müssen wie bei schweren Gewaltdelikten, wie Missbrauch, Betrug und Mord. Delikte, die das Leben anderer Menschen oder sozialer Systeme bedrohen, verstümmeln oder auslöschen. Bei solchen Straftaten ist es erstens notwendig, die Gesellschaft vor weiteren Straftaten zu schützen, zweitens das Unrecht der Opfer sichtbar zu büßen und drittens, dem Täter die Möglichkeit zu geben, das Verhalten zu unterbrechen, zu reflektieren und therapeutisch und spirituell aufzuarbeiten und neue Lösungsmöglichkeiten zu suchen. Diese Ausrichtung versteht man auch unter dem Begriff der Resozialisierung.

Soll Resozialisierung gelingen, braucht es in den Gefängnissen einen geeigneten Rahmen, der die Empathie für die Opfer und die Übernahme von Verantwortung für das eigene Leben fördert. Dazu braucht es mehr ausgebildetes Fachpersonal, wie Psychologen, Heilpädagogen und Psychotherapeuten aber auch mehr Individualität und Therapiemöglichkeiten. Dazu gehörten beispielsweise die therapeutische Begleitung und Aufarbeitung des eigenen Lebensweges, berufliche Ausbildungsmöglichkeiten, Projekte in den Bereichen Musik, Kunst, Natur, Theater und Sport. Hier haben die Inhaftierten die Möglichkeit, Verantwortung für das Geschaffene zu übernehmen.

Das System Gefängnis mit seinen sehr begrenzten Handlungsmöglichkeiten muss grundsätzlich überdacht werden. Wenn wir davon ausgehen, dass Verhaltensveränderungen beim Menschen nachhaltiger durch positive Verstärkung von erwünschtem Verhalten als durch negatives Sanktionieren von unerwünschtem Verhalten verändert wird, wird deutlich, warum die Rückfallquoten so hoch sind.

Um Verantwortung zu lernen braucht es auch Rahmenbedingungen, das Leben eigenständig zu gestalten. Innerhalb des geschlossenen Vollzugs braucht es Möglichkeiten der freien Gestaltung. Wenn alle Türen verschlossen sind, kann ich nicht lernen, eigene Wege zu gehen. Sinnvoll wäre eine Art Wohngruppenvollzug mit Küche und Wohnraum, wo auch soziales Miteinander erlernt werden könnte. Trotzdem ist zu berücksichtigen, dass durch das in sich geschlossene System es kaum bis gar nicht möglich ist, auch nur in Ansätzen Bedingungen wie draußen zu schaffen.

Notwendig ist die Förderung von Sozialkontakten, die auch nach der Entlassung wichtig sind, um wieder Fuß zu fassen, sowie die Begleitung der Inhaftierten nach der Entlassung. Viele kehren zurück in ihr kriminelles Milieu und begehen neue Straftaten. Rein formal endet die Arbeit der Mitarbeiter im Gefängnis mit der Entlassung. Darüber hinaus müsste ein stärkerer Fokus auch auf den Bereich der Haftvermeidung und der Prävention gelegt werden. Eine solche Ausrichtung fordert die Gesellschaft auf, nicht mehr in erster Linie auf bereits begangene Straftaten zu blicken, sondern sie vor allem schon im Vorfeld zu vermeiden. Das bedeutet hohe Investitionen in Personal- und Sachmittelausstattung in Beratungs- und Bildungsangeboten und ist mit viel Geld verbunden.

Der Katholische Gefängnisverein versucht in Ansätzen, einige dieser Aufgaben zu übernehmen. Durch: Gespräche mit Inhaftierten, Beratung und Hilfe für Familienangehörige, Ausbildung und Vermittlung ehrenamtlicher BetreuerInnen, Gruppenarbeit mit (ausländischen) Inhaftierten, Vermittlung von Fachberatungen (Ehe-, Familien-, Schulden-, Suchtberatung), Entlassungsvorbereitung, Hilfe bei Wohnungs- und Arbeitssuche, Unterstützung im Umgang mit Behörden.

In der JVA Düsseldorf oder für die Entlassenen und Angehörigen draußen versuchen wir in der Beratungsstelle in der Kaiserswerther Straße 286 auf diese Weise, das „Weiter So“ zu durchbrechen und zu einem „So, weiter“ werden zu lassen. Neben dem personellen Einsatz wendet der Verein viel Zeit und erhebliche finanzielle Mittel auf, um ein unverzichtbares Gegengewicht zu den vielfach erfolglosen Anstrengungen des Vollzuges zu bilden. um seinen Auftrag „Unterstützen statt verwahren – Eingliedern statt ausschließen“ gerecht zu werden.

 Theo Bögemann, Diplom Theologe und Diplom Sozialarbeiter, ist Geschäftsführer des katholischen Gefängnisvereins Düsseldorf e.V.

 Literatur zur Gefängnisseelsorge, die in diesem Artikel benutzt wurde:

Evangelische Konferenz für Gefängnisseelsorge in Deutschland: „Reader Gefängnisseelsorge“, September 2027 (Fußnoten 1-3)

Grundlagen der Gefängnisseelsorge im Erzbistum Köln, Bad Honnef 2011